Kim heißt eigentlich Kiều. Aber so will die in Berlin aufwachsende Tochter vietnamesischer Eltern nicht genannt werden. Am liebsten hätte sie überhaupt „normale, deutsche“ Eltern gehabt und dementsprechend interessiert sie sich auch wenig für ihre Familiengeschichte. Man erfährt nur, dass ihr Vater zum Studieren nach Deutschland kam und dort ihre Mutter kennengelernt hat. Kim ist dreißig Jahre alt, Journalstin, und auch an dem Punkt, wo sie Klarheit über ihre Beziehung zu ihrem deutschen Freund haben möchte.
Eine Facebook-Nachricht, die alles verändert
Plötzlich erhält Kim eine Facebook-Nachricht vom Bruder ihres Vaters, der in den USA lebt. Die Großmutter ist gestorben und die Familie soll zur Testamentseröffnung in Los Angeles zusammenkommen. Bisher gab es kaum Kontakt zwischen den Familienmitgliedern und Kim ist wenig begeistert, ihre Eltern auf diese Reise zu begleiten. Was als widerwillige töchterliche Verpflichtung beginnt, entpuppt sich nach und nach als Schlüssel zu den Fragen ihrer Herkunft und Identität – und auch zum Grund für die jahrelange Funkstille zwischen den Brüdern.
Kulturschock und Sprachlosigkeit
Anfänglich kommt die deutsch sozialisierte Kim überhaupt nicht mit der vietnamesischen Kultur und Lebensart der amerikanischen Verwandtschaft zurecht – seien es das Essen, die Gerüche, die Geschlechterrollen oder die andauernden Fragen, warum sie noch nicht verheiratet ist. Hinzu kommt, dass ihr Vietnamesisch kaum für tiefergehende Gespräche ausreicht. Doch je mehr sie über die Vergangenheit ihrer Familie erfährt und Menschen kennenlernt, die ihr Impulse für die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität geben, bröckelt ihre Ablehnung und Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Herkunft. Dies mündet in eine überraschende Entscheidung, als der USA-Aufenthalt zu Ende geht.
Vietnamkrieg aus neuer Perspektive
Anhand von Kims Familiengeschichte zeigt sich, wie der Krieg Familien in ihrem Innersten erschütterte, entzweite und unüberwindbare Gräben über mehrere Kontinente schuf. Obwohl Kims Vater und ihr Onkel beide emigrierten, hätten die Umstände verschiedener nicht sein können: Ihr Vater wurde ganz offiziell zum Studium nach Deutschland geschickt, der Onkel und die Mutter erlebten das Kriegsgeschehen hautnah mit, wurden verfolgt und konnten letztendlich in die USA fliehen. Dementsprechend unterschiedlich ist ihr Blick auf das Heimatland sowie die dortigen politischen Gegebenheiten und Ideologien. Khuê Pham gelingt es mit ihrer Schilderung, den Vietnamkrieg aus neuer, persönlicher Perspektive kennenzulernen – abseits der Geschichtsschreibung, die, wie sie sagt, von amerikanischen Kriegsreportagen geprägt ist.
Autobiografisch aber dann doch nicht
Vieles hat die Roman-Protagonistin mit der Autorin gemeinsam, vieles ist recherchiert und in Gesprächen mit Betroffenen erfahren. Die Identitätssuche, das Verdrängen von Kriegserfahrungen, die Sprachlosigkeit in den Familien sind jedoch Themen, die Pham aus ihrem eigenen Leben kennt und mit vielen Kindern der zweiten Einwanderer-Generation teilt. Genauso wie die Frage: „Woher kommst du“ – mit der die Protagonistin am Ende des Buches ebenso Frieden schließen kann.