Schon wieder flammt die Diskussion über die Staatsbürgerschaft auf. Von einer „Entwertung“ spricht die ÖVP, wenn man den Zugang dazu erleichtern würde. Ich habe ja bereits in mehreren Beiträgen beschrieben, wie rigide Österreichs Einbürgerungspolitik ist, wie vielen hier geborenen Kindern die Staatsbürgerschaft verwehrt bleibt, was das Leben als Staatenlose/r bedeutet und dass es auch eine Gefahr für unsere Demokratie darstellt, wenn immer weniger Menschen wahlberechtigt sind. Fachleute weisen seit Jahrzehnten darauf hin, und auch das soeben erschienene Buch „Migration und Staatsbürgerschaft“ von Gerd Valchars und Rainer Bauböck fasst den wissenschaftlichen Stand der Diskussion gut verständlich zusammen (gratis Download hier). Deswegen möchte ich mich diesmal etwas näher mit den so oft zitierten „Werten“ beschäftigen, da dieser Begriff auch in der Integrationspolitik immer wieder vorkommt.
Was sind Werte überhaupt?
Jede/r spricht über Werte und geht davon aus, dass das Gegenüber dasselbe darunter versteht. Beziehungsweise: Dass das Gegenüber „unsere“ Werte erlernen muss – sonst gäbe es ja keine verpflichtenden Wertekurse in der Integrationsvereinbarung. So auch die Erkenntnis im Buch „Der Staat und die Werte„, wonach „der Wertbegriff zugleich umstritten [ist] und der Gefahr [unterliegt], willkürlich verwendet zu werden. Bereits im Jahr 1969 hat Rüdiger Lautmann in einer Untersuchung von mehr als vierhundert soziologischen Fachpublikationen insgesamt 178 verschiedene Definitionen des Begriffs festgestellt.“ Das war vor über fünfzig Jahren – das heißt, wir können davon ausgehen, dass bei der inflationären Verwendung des Wertebegriffs inzwischen noch viel mehr Definitionen, Assoziationen und Vorstellungen dazu kursieren. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang die Forschungen von Shalom H. Schwartz, der universelle menschliche Werte feststellte.
Die Basic Human Values von S. Schwartz
Schwartz hat herausgefunden, dass es zehn Grundwerte gibt, die alle Menschen in unterschiedlicher Ausprägung teilen. Das sind: Macht, Leistung, Hedonismus, Stimulation, Selbstbestimmung, Universalismus, Benevolenz, Spiritualität, Tradition, Konformität und Sicherheit. Sie lassen sich den vier motivierenden Wertetypen: Offenheit für Veränderungen, Selbstverbesserung, Erhaltung und Selbsttranszendenz zuordnen. In dieser Publikation von Schwartz‘ späterem Co-Autor Bilsky wird das Modell im Detail auf Deutsch erklärt. Relevant ist die Beziehung der Werte untereinander, sie können sich stärker oder weniger stark widersprechen. Interessant ist, dass Menschen gegensätzlichen Werten folgen, indem sie in verschiedenen Umgebungen oder zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich handeln. Wer Lust hat, kann hier den Test dazu machen. Natürlich sind gewisse Tendenzen auch kulturell bedingt, und so gibt es ähnlich wie die Ländervergleiche der Kulturdimensionen von Hofsteede und der World Values Map auch die Schwartz’schen Grundwerte auf einer Landkarte dargestellt.
Werte lernen?
Laut des Kulturzwiebel-Modells von Geert Hofstede sind Werte der innerste Kern einer Kultur – und der am schwierigsten erlern- und veränderbare. Als Kind bekommt man Werte von Anfang an unbewusst mit. Den meisten Menschen sind ihre Werte gar nicht bewusst – auch deswegen, weil sie täglich Anwendung finden und unterbewusst gebraucht werden. Wie also Werte in Kursen lernen? Seit es die verpflichtenden Wertekurse für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte gibt, gibt es auch Kritik daran – zum Beispiel von der Sozialistischen Jugend aber auch von den Geflüchteten selbst, wie z.B. dem Schriftsteller Omar Khir Alanam. Er fühlt sich abgewertet, wenn im Kurstitel suggeriert würde, dass Flüchtlinge keine Werte hätten. Seit heuer sind die Kurse auch von acht auf 24 Stunden erhöht worden – mit zusätzlichen inhaltlichen Schwerpunkten, um gegen den „importierten Antisemitismus“ vorzugehen, wie die zuständigen Regierungsmitglieder Raab und Edtstadler erklärten. Und dass die vermittelten Werte die Prinzipien seien, auf der die Bundesverfassung fuße. Das Paradoxe daran ist ja, dass viele der Geflüchteten genau aufgrund fehlender Freiheit, Sicherheit, Gleichberechtigung und Menschenrechte ihr Land verlassen müssen – also müssen sie diese Werte ja sehr wohl kennen. Warum also nicht einfach Landes-, Kultur- und Rechtskunde vermitteln? Das müsste ausreichend sein, um Gesetze zu kennen und zu achten sowie die Sitten, Gebräuche und Traditionen einordnen zu können. Und ob ich die vielzitierten „Werte“ einer Kultur annehme oder nicht, ist dann irrelevant, wenn ich mich gesetzeskonform verhalte.
Auf- und Abwertung
Dass man andere Menschen aufgrund anscheinend fehlender Werte abwertet oder von der „Entwertung“ einer Sache bzw. Leistung spricht, wenn mehr Menschen Zugang dazu bekommen sollen, ist leider ein altbewährtes Muster in der Politik. Womit wir wieder beim Thema Staatsbürgerschaft und der ÖVP wären. Das Momentum Institut hat diesen Mechanismus in folgendem Video auf den Punkt gebracht. Ziel ist, der eigenen Klientel damit das Gefühl zu geben, mehr wert zu sein.
Ich finde: So eine Politik ist für den Allerwertesten!