Ein Migrations-Thema mehr, wo sich Österreich als internationaler Hardliner positioniert: Die Behandlung staatenloser Kinder, die in Österreich geboren sind. Wider aller völkerrechtlicher Übereinkommen wird ihnen der Weg zur Staatsbürgerschaft hierzulande unverhältnismäßig schwer gemacht. Anlässlich eines Interviews mit einer Betroffenen für einen SN-Artikel bin ich tiefer in die Thematik eingetaucht, habe Zahlen recherchiert und Experten befragt – und bin einmal mehr schockiert, wie man mit Kindern umgeht, die außer Österreich kein anderes Heimatland kennen.
„Du fühlst dich nirgends wirklich zugehörig“
So beschreibt die inzwischen 23-jährige Salzburgerin Thao das Gefühl ohne Staatsangehörigkeit aufzuwachsen. Ihre Eltern waren in den 1980er Jahren aus Vietnam nach Österreich geflohen, wodurch ihnen die vietnamesische Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Sie und ihre Geschwister erbten bei ihrer Geburt die Staatenlosigkeit der Eltern, deren Herkunftsland sie nie kennengelernt haben. Unsicherheit und Irritation der Umgebung standen auf der Tagesordnung und an vielen kleinen und großen Themen von Reisen über Ferialjobs bis hin zum Wahlrecht merkte sie, dass sie im Vergleich zu den anderen nicht dieselben Rechte und Sicherheiten hatte. Am belastendsten war die Angst vor einer möglichen Abschiebung.
Spießrutenlauf Einbürgerungsverfahren
In der Familie reichte das Geld zum Leben, aber nicht dafür, mehrere Kinder einzubürgern. Daher musste die Studentin das nach ihrer Volljährigkeit selber in die Hand nehmen. Leider war sie mit 20 Jahren um ein paar Wochen zu spät dran – zwischen 18 und 20 hätte es ein Zeitfenster mit Erleichterungen für hier geborene Staatenlose gegeben. So fiel sie in die „ganz normale“ Einbürgerungsmaschinerie und scheiterte, weil ihre Eltern zwei Jahre davor für einen kurzen Zeitraum Sozialhilfe erhalten hatten. Also zurück zum Start. Zwei Jahre später probierte sie es erneut. Und sah sich mit zum Teil absurden Dingen konfrontiert, die sie zu beweisen oder zu beschaffen hatte.
Wie beweist man Staatenlosigkeit?
Thao musste im Zuge ihres Verfahrens mehrfach nachweisen, keine vietnamesische Staatsbürgerin zu sein. Sie, die niemals irgendeine Staatsbürgerschaft besessen hatte…! Anscheinend wurden sie und ihre Eltern in verschiedenen österreichischen Registern unterschiedlich geführt: Mal als Staatenlose, mal als Vietnamesen. Wie kann das sein?
Die Antwort gab mir Leonhard Call, Österreich-Experte des Europäischen Netzwerks für Staatenlosigkeit (ENS). In Österreich gibt es nämlich – im Gegensatz zu anderen Ländern – weder ein einheitliches Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit, noch eine gesetzliche Definition dafür. Jede Behörde handelt also nach eigenem Gutdünken und so kann es sein, dass eine Person im Meldeamt und bei der Einwanderungsbehörde ohne, beim Standesamt und bei der Schulbehörde aber mit Staatsbürgerschaft aufscheint. Das führt zu unterschiedlichen Stati auf Dokumenten und Komplikationen bei der Einbürgerung – bis hin zu Unterstellungen, hier absichtlich etwas zu verschleiern. Dabei ist die österreichische Bürokratie bzw. Politik mit Schuld daran…
Wo Österreich völkerrechtswidrig agiert
Das ist nicht der einzige Kritikpunkt an Österreich, wenn es um die Einbürgerung Staatenloser geht. Schließlich ist das Recht auf eine Staatsangehörigkeit ein universelles Menschenrecht und Österreich hat mehrere Konventionen unterzeichnet, um Staatenlose zu schützen und Staatenlosigkeit zu vermeiden. So widerspricht auch die zu kurze Frist von zwei Jahren für die erleichterte Einbürgerung hier geborener Staatenloser, an der Thao gescheitert ist, den gesetzlichen Verpflichtungen. Das wird vom UNHCR, dem UNO-Kinderrechtsausschuss sowie von nationalen Organisation regelmäßig kritisiert – mit einer Reihe von weiteren Punkten, wo Österreich den unterzeichneten Übereinkommen zuwiderhandelt. Dies ist im aktuellen Staatenlosigkeits-Index des ENS nachzulesen. Und die Politik tut… NICHTS.
Einbürgerungsverfahren: Will man abschrecken?
Aber das ist ja auch nichts Neues: Im internationalen „Migrant Integration Policy Index“ von 52 Staaten teilt sich Österreich in der Kategorie „Zugang zur Staatsbürgerschaft“ den letzten Platz mit Bulgarien. Die Gesetzeslage ist das eine. Die Behandlung durch die Behörde ist das andere. In den letzten Wochen mehrten sich Medienberichte über die in Wien für Einwanderung zuständige MA 35: Telefone werden nicht abgehoben, E-Mails nicht beantwortet, Fristen „übersehen“, Anträge nicht registriert. Auch, um nicht „zu freundlich“ zu sein, da sich das angeblich herumspreche und zu einer Anfrageflut führe. Die Behörde ist notorisch unterbesetzt, die Mitarbeiter:innen überlastet.
Ähnliche Erfahrungen musste auch Thao in Salzburg machen. Von Bürgerservice keine Rede, noch dazu ein „Service“, für den sie samt Nebenkosten 2.500 Euro hinblättern durfte. Immerhin war es für sie irgendwann durchgestanden: Mehr als drei Jahre nach ihrem ersten Antrag hielt sie schließlich den lang ersehnten Bescheid zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft in Händen.
Leidtragende sind die Kinder
Ausgetragen wird das politische Hardlinertum auf dem Rücken der Kinder, denen das Recht auf eine Staatsangehörigkeit und Identität verwehrt und ein Aufwachsen in Unsicherheit zugemutet wird. Über 12.500 Minderjährige gibt es in Österreich, die hier geboren und entweder staatenlos sind oder deren Staatsangehörigkeit ungeklärt oder unbekannt ist.
Petition unterzeichnen!
Deswegen habe ich schon vor Monaten die Petition „hier geboren“ von SOS Mitmensch unterzeichnet. Sie fordert massive Erleichterungen bei der Einbürgerung hier geborener, nicht-österreichischer Kinder. Rund 40.000 Menschen haben die Petition bereits unterschrieben, im Spätherbst 2021 sollen die Unterschriften der Bundesregierung übergeben werden – man überlegt noch, ob eher der Integrationsministerin oder dem Innenminister…