Schon als Kinder wird uns beigebracht, das Schöne zu lieben und anzustreben. Im Märchen ist das Gute immer das Schöne, und auch das hässliche kleine Entlein wird Gott sei Dank zum wunderschönen Schwan und muss sich nicht mehr um sein Aussehen grämen.
Der Attractiveness Bias
Und siehe da, wer schön ist, hat tatsächlich einen Startvorteil. Zahlreiche Studien haben bewiesen, dass gut aussehende Menschen für kompetenter gehalten werden, höhere Gehälter bekommen, eher befördert und seltener entlassen werden. Es beginnt schon im Kindesalter, wenn attraktive Kinder von Eltern und Lehrenden mehr gefördert werden und dadurch bessere Noten erhalten. In der Fachsprache heißt das „Attraktivitätseffekt“ oder „Beauty Bias“ und gehört zu den unbewussten Denkmustern, die in unseren Gehirnen verankert sind.
Na und, könnte man sagen. Haben die Feschen halt Glück gehabt, es sei ihnen gegönnt! Der Umkehrschluss ist aber, dass Menschen, die nicht der Schönheitsnorm entsprechen, in ihren Fähigkeiten unterschätzt, benachteiligt und gemobbt werden und im schlimmsten Fall sogar von Gewalt betroffen sind. Lookismus nennt man diese Diskriminierung aufgrund des Aussehens. Kein Wunder also, dass alle schön sein wollen!
Wer sich dabei ins Fäustchen lacht, ist die Schönheitsindustrie. Denn in einer vom Aussehen besessenen Gesellschaft verspricht sie uns immer neue Produkte und Ideen, wie wir Schönheit erlangen und unsere körperlichen Makel beseitigen können. Das kostet natürlich Geld, Zeit, Ressourcen und Energie – und lenkt von anderen Themen ab.
Schönheitsideale als Erfindung des Patriarchats
Wer noch davon profitiert? Das Patriarchat, sagen Expertinnen. Denn die Reduktion auf das Äußere ist eine Möglichkeit, Kontrolle über Frauen auszuüben und sie daran zu hindern ihr volles Potenzial auszuschöpfen. „Wenn wir all diese Energie, die ganze Zeit und das ganze Geld unserer Schönheitsarbeit in das Sich-Zusammentun und Überlegen, wie eine bessere, eine andere Gesellschaft aussehen könnte, investieren würden, würde alles gleich ganz anders, und ich glaube, besser aussehen“ sagt Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner dazu.
Mechanismen entlarven!
Was können wir also tun? Zuerst einmal uns selber kritisch beobachten, ob wir nicht auch da und dort einer attraktiven Person nur aufgrund ihres Aussehens den Vorzug geben. Im Arbeits- oder Ausbildungskontext kann man sich da mit transparenten Beurteilungskriterien, dem zeitnahen Notieren von Eindrücken, dem Vier-Augen-Prinzip oder Anonymisierungen behelfen.
Und zweitens können wir uns fragen, ob und wie sehr wir die gesellschaftlichen Schönheitsideale unterstützen und mittragen wollen – oder ob wir das Beauty-Biest in seinen Käfig sperren!