Ich hatte mal einen Arbeitskollegen, Tom. Tom war für die IT verantwortlich. Und insofern war Tom ein gefragter Mann. An seinem dreißigsten Geburtstag beschloss Tom, ab jetzt Thomas zu sein und nicht mehr Tom. Er hatte den Spitznamen einfach satt und wollte mit seinem vollen Namen in ein neues Jahrzehnt treten. Und er setzte seinen Wunsch auch rigoros um: Wer IT-Support benötigte, musste sich an Thomas wenden und nicht an Tom. So wurden auch die Unbelehrbaren schnell eines Besseren belehrt – und wenn einem aus Gewohnheit oder Versehen doch ein „Tom“ herausrutschte, wartete man vergeblich auf die Lösung des – meist dringenden – Computerproblems. Im Handumdrehen war aus Tom Thomas geworden.
Und was hat Tom mit dem N* und Z*-Wort zu tun? Ich finde viel!
Das Recht auf Selbstbenennung
Thomas hat einfach auf das gepocht, was selbstverständlich sein sollte: Nämlich dass er selber bestimmt, wie er genannt werden will. Auch wenn andere das nicht verstehen oder lächerlich finden oder sich denken „einmal Tom, immer Tom!“. Was ihm zugute kam: Er saß am längeren Ast, sprich: Er hatte die Macht, seine Forderung auch durchzusetzen. Als Person, auf die andere im Büro-Alltag angewiesen waren, konnte er die Vorgaben machen und deren Einhaltung einfordern. Hätte er diese Position nicht gehabt, ist fraglich, ob aus Tom jemals so schnell Thomas geworden wäre.
Es geht also um Macht. Wer sie hat, hat auch die Deutungshoheit. Wieso fällt es uns so schwer, diese Hoheit abzugeben, wenn es um „andere“ geht? Und wieso reicht es nicht, wenn Schwarze Menschen bzw. People of Colour oder Sinti:zze und Rom:nja oder Inuit uns einfach sagen, wie sie bezeichnet werden wollen und wir tun es und damit basta?
„Das hab ich so gelernt und das war schon immer so!“
Solche Argumente hört man dann öfters, wenn man das hinterfragt oder auf problematische Formulierungen aufmerksam macht. Aber hallo! Ich hab in der Schule auch gelernt, dass Österreichs Nachbarland Jugoslawien heißt und nicht Slowenien. Und dass die baltischen Länder zur UdSSR gehören. Und dass Pluto ein Planet ist. (Ach ja und aus Raider wurde Twix ;)) Die Liste ist wahrscheinlich unendlich fortzuführen, denn laufend gibt es neue Erkenntnisse und geopolitische Veränderungen. Braucht es also eine wissenschaftliche oder politische Instanz, die uns aufklärt, was Sache ist oder nicht, damit wir es akzeptieren? Oder liegt es an der Medienpräsenz, dass gewisse Tatsachen schnell ins kollektive Gehirn und Sprachzentrum gelangen?
Das führt mich zu Schein-Argument Nummer 2:
„Diese ganzen Ausdrücke sind alle so verwirrend, das kann ich mir ja nicht merken“
Zugegeben, mit dem Fokus auf gesellschaftliche Vielfalt gibt es auch viele neue Abkürzungen und Bezeichnungen, die in unser Leben treten. Ja und? Es gibt ein aktuelles Beispiel, dass die Gesellschaft sehr wohl in der Lage ist, neue Vokabel zu erlernen und exzessiv zu gebrauchen: Covid19!
Wer früher nicht mal in der Lage war, das Wort Quarantäne fehlerfrei zu buchstabieren geschweige denn dessen Bedeutung zu erklären, fachsimpelt jetzt ohne Ende über Reproduktionszahlen, Vakzine, Aerosole, PCR und mRNA und so weiter und so fort. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat ein Neologismen-Wörterbuch mit über eintausend (!) neuen Wörtern erstellt, die uns die Corona-Krise beschert hat. Am mangelnden Speicherplatz im Gehirn scheint es also nicht zu liegen – mit der nötigen Wiederholung können noch so komplizierte Abkürzungen erlernt werden. Und wenn man verunsichert ist: einfach fragen oder googeln – das Internet weiß doch eh alles!
Woran liegt es dann?
„Darf man jetzt gar nichts mehr sagen? Ich lasse mir den Mund nicht verbieten!“
(Zusatz: Schon gar nicht von „denen“!)
Das ist der letzte verzweifelte Rundum-Schlag, wenn die anderen Argumente entkräftet sind. Und der zieht immer. Denn schließlich bestimme ich, welche Wörter ich verwende und welcher Sprache ich mich bediene.
Klar – und das ist auch das gute Recht von jedem und jeder. Nur muss ich mir halt auch der Konsequenzen bewusst sein und die in Kauf nehmen. Und da wären wir wieder bei Tom alias Thomas: Die Konsequenz war spürbar und behinderte beim Arbeiten. Wenn ich eine Person in meinem persönlichen Umfeld verletze, kann mir Liebesentzug drohen. Wenn ich eine/n Vorgesetzte/n brüskiere, kann es meiner Karriere schaden.
Aber wenn ich mich mit meiner Diktion einer Volksgruppe gegenüber respektlos verhalte (oder im schlimmsten Fall eine/n ihrer Vertreter/innen als E* oder N* oder Z* bezeichne), habe ich kaum Konsequenzen zu erwarten. Denn sie haben meist nicht die Macht auf die Einhaltung ihrer gewünschten Benennung zu bestehen und mir Nachteile zu bereiten. Deswegen sollen sie auch bitte nicht so „angr’ührt“ sein. Oft erhält man sogar Applaus von zweifelhaften Unterstützern der „Mir san mir“ und „Wer zahlt, schafft an“ Mentalität, wenn man starr auf ewiggestrigen Bezeichnungen beharrt.
Es ist also keine Frage des Könnens sondern des Wollens, ob man gewisse Ausdrücke aus dem Sprachgebrauch entfernt oder auch einmal nachfragt oder sich entschuldigt. Oder einfach akzeptiert, dass die überlieferte Bezeichnung als Schimpfwort und diskriminierend aufgefasst wird. Es kostet ja nicht einmal etwas, ein anderes Wort dafür zu verwenden! Aber es bringt viel – nämlich ein besseres Miteinander auf Augenhöhe.
Und jetzt…? Sind wir am Weg zur inklusiven Sprache?
Ich hoffe schon! Denn ich habe das Gefühl, dass sich Sprache in vielen Bereichen verändert (siehe dazu auch meine Blog-Artikel zum Thema Gendern). Und dass mehr und mehr Menschen im beruflichen und persönlichen Umfeld sorgsamer in ihrer Wortwahl werden. Sicher kann und soll der Prozess da und dort auch „von oben“ oder mit Hilfe der Medien beschleunigt und unterstützt werden.
Ich kann mir vorstellen, dass meine Großeltern nach 1945 auch sehr rasch gewisse Vokabel verlernen mussten, die sie sich 1938 vorbildlich angeeignet hatten… und auch hier gibt es Menschen, die in dieser Zeit stehen geblieben sind. Doch sie merken, dass sie in vielen gesellschaftlichen Kontexten immer weniger salonfähig sind.
Vielleicht passiert das ja bald auch mit den E*-N*- oder Z*-Sager:innen… Was glaubst du?
Dieser Text erschien leicht abgeändert ebenso als „Vielfaltskolumne“ in der Salzburger Straßenzeitung Apropos im Februar 2023.