Für die Salzburger Nachrichten habe ich die mühevolle (Einbürgerungs-)Geschichte der Salzburger Studentin Thao* beschrieben. Ich habe sie 2018 bei der Recherche für meine Masterarbeit kennengelernt. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst ist, dass es Staatenlosigkeit gibt und was das bedeutet. Umso mehr freue ich mich, dass sich die SN von diesem Thema überzeugen ließ.
„Als Staatenlose fühlst du dich nirgends wirklich zugehörig“
Staatenlos, Staatsangehörigkeit unbekannt oder ungeklärt: Auf knapp 18.000 in Österreich lebende Menschen trifft dies zu. Über drei Viertel davon sind Minderjährige, zum Großteil hier geboren. Wie Staatenlosigkeit ihren Alltag beeinflusst, welche Hürden auf dem Weg zur Einbürgerung bestehen und wie diese das Leben schlagartig erleichtert, schildert eine junge Salzburgerin.
„Ich habe mich schon als Österreicherin gesehen, es aber nicht auszusprechen getraut, weil es ja nicht offiziell war“, erzählt die 23-jährige Studentin Thao*, die seit ihrer Geburt in Salzburg lebt. Ihre Eltern waren in den 1980er Jahren aus Vietnam nach Österreich geflohen, mit der Ausreise wurde ihnen die vietnamesische Staatsbürgerschaft entzogen. Thao und ihre Geschwister erbten bei ihrer Geburt die Staatenlosigkeit der Eltern.
Irritation und Verunsicherung an der Tagesordnung
Schon in der Schule habe es immer wieder unangenehme Situationen gegeben, erzählt Thao. Bei jedem Formular, in dem die Nationalität anzugeben war, erntete sie verblüffte Blicke und neugierige Fragen der anderen Kinder und Lehrkräfte. Bei Schulreisen versteckte sie ihren grauen Flüchtlingspass in einer bunten Hülle, um nicht aufzufallen. Beim ersten Ferialjob dann die Ratlosigkeit des Arbeitgebers, ob sie ohne Staatsbürgerschaft überhaupt arbeiten dürfe. Mit 16 die Erfahrung, nicht wahlberechtigt zu sein wie die meisten Gleichaltrigen. „Man ist von der Gesellschaft akzeptiert, aber man ist kein offizielles Mitglied“, fasst die Studentin zusammen. Ihre größte Angst war jedoch die vor einer möglichen Abschiebung: „Ich habe ganz lang die Befürchtung gehabt, dass wir jederzeit abgeschoben werden könnten. Als Staatenlose hast du kein Land, das sich für dich verantwortlich fühlt und deine Rechte schützt“.
Völkerrecht: Staatenlosigkeit ist zu verhindern
So wie Thao geht es laut Zahlen der Statistik Austria aktuell über 12.500 Minderjährigen, die in Österreich zur Welt kamen und den nicht vorhandenen oder ungeklärten Staatsbürgerschaftsstatus ihrer Eltern innehaben. Und das, obwohl Österreich mehrere völkerrechtliche Übereinkommen unterzeichnet hat, um Staatenlose zu schützen und Staatenlosigkeit zu vermeiden. Schließlich ist das Recht auf eine Staatsangehörigkeit ein universelles Menschenrecht. Leonhard Call, Österreich-Experte des Europäischen Netzwerks für Staatenlosigkeit, dazu: „Österreich ist hier viel rigider, als es die internationalen Konventionen vorsehen. Das wird vom UNHCR, dem UNO-Kinderrechtsausschuss sowie von nationalen Organisationen regelmäßig kritisiert. Haupt-Leidtragende sind die Kinder, denen das Recht auf eine Staatsangehörigkeit und Identität verwehrt und ein Aufwachsen in Unsicherheit zugemutet wird.“
Petition für in Österreich geborene Kinder
Diesen Missstand möchte die Initiative „hier geboren“ der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch beseitigen. Sie fordert massive Erleichterungen bei der Einbürgerung hier geborener, nicht-österreichischer Kinder. Rund 40000 Menschen haben die Petition bereits unterzeichnet, demnächst sollen die Unterschriften der Bundesregierung übergeben werden. Einer der Unterstützer ist Demokratieforscher Gerd Valchars, der betont: „In keinem anderen europäischen Land ist es für MigrantInnen und ihre Nachkommen schwerer, die Staatsbürgerschaft zu erwerben. Diese hohen Hürden treffen ganz besonders staatenlose Menschen“.
Erster Einbürgerungsversuch: Zurück zum Start
Thaos Erfahrungen bestätigen diese Tatsache. Das Gesetz sieht zwar für im Inland geborene Staatenlose ein Zeitfenster zwischen dem 18. und 20. Geburtstag vor, in dem eine erleichterte Einbürgerung möglich ist. Weder war ihr das bekannt noch wurde sie von den Behörden darüber informiert. Ihren ersten Antrag stellte die Studentin im Frühjahr 2018 kurz nach ihrem 20. Geburtstag und war erstaunt, welche Dokumente sie zu liefern hatte. Asylbescheid? Hatte sie als hier Geborene nicht. Dann eben den der Eltern aus den 1980er Jahren, der in den Archiven des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen ausgehoben werden musste. Strafregisterauszug des Herkunftslandes – wie denn, wenn sie noch nie in Vietnam war? Irgendwann war dann alles beschafft und eingereicht. Pünktlich zum Ablauf der gesetzlich vorgegebenen Verfahrensfrist von sechs Monaten kam die Ablehnung. Der Grund: Ihre Eltern hatten im Juni 2016 Sozialhilfe bezogen, wodurch die „hinreichende Sicherung ihres Lebensunterhalts“ nicht gegeben war.
Zweiter Versuch: Bitte warten…
Im Frühjahr 2020 stellte Thao einen neuerlichen Antrag. Im August erhielt sie die Aufforderung, ihre Staatenlosigkeit zu beweisen. Doch wie beweist man die Nicht-Existenz von etwas, das man nie besessen hat? Sie bat das vietnamesische Konsulat in Wien um ein Schreiben. Dann wieder warten. „Jedes Mal, wenn Post vom Land Salzburg kam, habe ich mich gefreut und gehofft, dass es um meine Staatsbürgerschaft geht“, schildert sie die Zeit des Bangens. Im April 2021 wurde sie zur Vorlage der Originaldokumente vorgeladen. Wieder warten. Schließlich erhielt sie die Zusicherung der Staatsbürgerschaft – unter der Voraussetzung, innerhalb von zwei Jahren das Ausscheiden aus dem vietnamesischen Staatsverband nachzuweisen. Wie bitte? Nochmals zum Konsulat, diesmal für eine notariell beglaubigte Übersetzung, dass sie niemals Staatsbürgerin war und auch kein Recht darauf hatte, eine zu werden. Am 5. Juli 2021, mehr als drei Jahre nach ihrem ersten Antrag, hielt die Salzburgerin den lang ersehnten Bescheid zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft in Händen. Kostenpunkt samt Nebenkosten: 2500 Euro.
Endlich Österreicherin!
Mit welchem Gefühl Thao ihren neuen Pass entgegennahm? „Es ist erleichternd, ich fühle mich endlich als Mitglied der Gesellschaft anerkannt. Als Staatenlose hast du kein Mitspracherecht.“ Ihr politisches Interesse ist seither definitiv gestiegen und sie kann es kaum erwarten, bei ihrer ersten Wahl teilzunehmen. Auch zukünftige Themen wie eine mögliche Selbstständigkeit oder ein Bankkredit werden um vieles einfacher. Besonders freut sie sich über die Erleichterung beim Reisen: „Ich würde gern die Kanada-Reise nachholen, die ich nach der Matura geplant hatte.“ Diese hatte sie absagen müssen, da sich die Beantragung des Visums zu schwierig gestaltet hatte. Fraglich ist, ob ihre immer noch staatenlosen Eltern mitkommen können. Denn im elektronischen Visa-Antragsformular und bei Flugbuchungen ist der Status „Staatenlosigkeit“ nicht vorgesehen…
*Name von der Redaktion geändert
Weiter Geschichten dazu?
Dann sind meine Blog-Eintrag über staatenlose Kinder in Österreich, den staatenlosen Flüchtling Khaled, die völkerrechtlichen Übereinkommen dazu und mein Kommentar zu Österreichs Einbürgerungspolitik sicher von Interesse!