Sie ist das allerhöchste Gut. Deswegen muss man sie sich verdienen. Jahr(zehnt)elang, mit Blut, Schweiß und Tränen. Und jede Menge Geld dafür hinblättern. Aber muss das so sein? Seit der Abschiebung Minderjähriger Ende Jänner gerät das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz in den Fokus der Aufmerksamkeit.
Staatsbürgerschaft als Belohnung
Als Herr und Frau Österreicher beschäftigt man sich ja nicht unbedingt mit Dingen, die sowieso selbstverständlich sind. So wie die österreichische Staatsbürgerschaft zum Beispiel. Die hat man einfach. Und wie man sie kriegt, ist ja nicht wirklich relevant, weil man hat sie ja schon. Wird schon nicht so schwierig sein. Und wenn, wird das schon seine Gründe haben. Soll ja auch nicht jede/r so leicht kriegen, wo kommen wir denn da hin? So denkt auch die Politik: Sie definiert die Staatsbürgerschaft als Endpunkt einer erfolgreichen Integration: Erst wenn der/die Einzubürgernde die vorgeschriebene Integrationsleistung vorab erbringt und die nötigen Voraussetzungen erfüllt und brav zahlt, erhält er/sie diese als „Belohnung“ und darf fortan Mitglied im elitären Club der Auserwählten sein.
Staatsbürgerschaftsgesetz: 33 Mal seit 1985 novelliert
Dass diese erforderlichen Integrationsleistungen und Voraussetzungen zu den restriktivsten in Europa gehören und in der Praxis oft unüberwindbare Hürden darstellen, zeigt unter anderem folgende Tatsache: Das Gesetz wurde seit seinem Bestehen im Schnitt jedes Jahr novelliert (und de facto sukzessive verschärft). Für die Einbürgerung wird ein überdurchschnittlich langer Aufenthalt im Land (zehn Jahre – im Ausnahmefall sechs Jahre) verlangt, der restriktiv berechnet wird. Dazu kommen Voraussetzungen wie ein Mindesteinkommen, Unbescholtenheit, attestierte Deutschkenntnisse und die positive Absolvierung eines Staatsbürgerschaftstests. Schließlich ist die Einbürgerung mit hohen Gebühren verbunden. Hinzu kommt: Österreich besteht auf die Rückgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft und duldet keine Doppelstaatsbürgerschaften. Abgesehen davon, dass auch das nicht mehr zeitgemäß ist, können je nach Ursprungsland zusätzliche Kosten für deren Rückgabe anfallen. Kein Wunder, dass sich viele Menschen – auch solche, die schon lange hier leben – diese Prozedur nicht leisten können oder aus verschiedenen Gründen ihre bisherige Staatsbürgerschaft nicht abgeben können oder wollen. Und so kommt es, dass auch viele hier geborene Kinder im eigenen Land AusländerInnen sind (ihnen habe ich einen gesonderten Blog-Beitrag gewidmet).
Österreich als Schlusslicht – es geht auch anders!
Im internationalen Migration Policy Index, der die Integrationsvoraussetzungen in 52 Ländern analysiert, teilt sich Österreich mit Bulgarien in der Kategorie „Zugang zur Staatsbürgerschaft“ den letzten Platz. Expert:innen aus Sozial- und Politikwissenschaft weisen schon lange darauf hin: Ein leichterer, früher Zugang zur Staatsbürgerschaft entfaltet mehr integrative Wirkung als Österreichs restriktiver Weg, der rein auf dem Abstammungsprinzip beruht. Die europäischen Spitzenreiter Portugal und Schweden ermöglichen zum Beispiel im Land geborenen und sozialisierten Kindern eine rasche, unkomplizierte Einbürgerung unabhängig vom Aufenthaltstitel ihrer Eltern. Für solch ein kombiniertes Modell aus Abstammungs- und Territorialprinzip machen sich auch die renommierten Politikwissenschafter Rainer Bauböck und Gerd Valchars stark. Denn beim Thema Staatsbürgerschaft geht es auch um Teilhabe und den Zugang zu zivilen, sozialen und politischen Rechten. Ist dieser einer immer größer werdenden Gruppe von Mitbürger:innen verwehrt, bedeutet das eine strukturelle Gefahr für unsere Demokratie.
Wird sich was ändern?
Die Bilder von abgeschobenen Minderjährigen und dem damit verbundenen Polizeieinsatz sind Ende Januar durch alle Medien gegangen und haben viele Wortmeldungen und Kundgebungen nach sich gezogen. SOS Mitmensch hat die Petition „hier geboren“ gestartet, die 40.000 Menschen unterschreiben sollen. Darin wird eine Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes bezüglich der Einbürgerung hier geborener Kinder gefordert. Doch dazu braucht es politischen Willen… und dieser ist aktuell nicht absehbar – umso weniger, als im grün-türkisen Koalitionsabkommen kein Sterbenswörtchen über Migrationspolitik verankert ist… (!)
Kommt die Zeit der Migrationsforscher:innen?
Noch dazu dreht sich ja aktuell alles um die Bewältigung der Covid19-Krise. Doch was wir dabei gelernt haben: Die Wissenschaft hat Hochsaison! Kein Tag vergeht, an dem nicht Mitglieder von Expert:innen-Gremien zu Wort kommen und die Bundesregierung beraten.
Und… Moment mal… Wenn die Zeit der Virolog:innen vorüber ist, vielleicht kommen dann die Migrationsforscher:innen auf den Plan und ihre Expertise wird beachtet? Ich würde es mir wünschen – was meint ihr?