„Frauen, an die ich nachts denke“ von Mia Kankimäki

Sep 2, 2024Bücher und Kunst

Anscheinend muss man erst eine finnische Autorin lesen, um die österreichische Ausnahme-Erscheinung Ida Pfeiffer kennenzulernen! Sie lebte 1797 bis 1858, also mitten im Biedermeier, das den Frauen eine Rolle als Hausfrau und Mutter zugestand, aber nicht mehr. Schon Lesen und Studieren galt als verpönt – da unweiblich. Geschweige denn das Reisen! Trotzdem schaffte es Ida Pfeiffer mit 45 Jahren – getrennt lebend von ihrem Mann und als ihre Söhne aus dem Haus waren – ihr Leben radikal zu verändern und Forschungsreisende zu werden. Ein absolutes Kuriosum zu dieser Zeit! Sie unternahm fünf große Reisen, zwei davon um die ganze Welt, und erforschte Gegenden, die noch kein Weißer zuvor betreten hatte.

Während sie ihre ersten Reiseberichte noch anonym veröffentlichen musste, wurde sie bald eine berühmte Reiseschriftstellerin und gab insgesamt 13 Bücher heraus, die überaus populär waren und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. In Österreich von offizieller Seite kaum gewürdigt, erhielt sie in Preußen 1856 die „Goldene Medaille für Wissenschaft und Kunst“ von König Friedrich Wilhelm IV: und wurde als erste Frau zum Ehrenmitglied der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin und der Pariser Geographischen Gesellschaft ernannt. Eine Kurzvideo der Serie „geniale Frauen“ auf arte zeigt ihre Verdienste im Schnelldurchlauf. Und wäre in Österreich nicht der Euro eingeführt worden, hätte sie es 1999 sogar auf eine 50-Schilling-Note geschafft.

Neun weitere Heldinnen

Doch Ida Pfeiffer ist nicht die einzige Heldin, die Autorin Mia Kankimäki in ihrem Buch portraitiert. Ihr Faible für Frauen, die zu ihrer Zeit außergewöhnliche Reisen unter widrigsten Umständen an die entlegensten Ecken der Welt unternommen haben, lässt sie auch die Abenteuer von Karen Blixen, Isabella Bird, Mary Kingsley, Alexandra David-Neel und Nelly Bly erzählen. Wobei Kankimäki nicht einfach nur eine Biografie an die nächste reiht, sondern auf ansprechende, manchmal (selbst)ironische, manchmal kritische Art ihre eigene Geschichte mit denen ihrer Heldinnen verknüpft. Denn auch sie ist an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie sich im Reisen neu entdeckt und erfindet, an dem sie als Schriftstellerin Inspiration in der Schreibtätigkeit ihrer Protagonistinnen sucht, und an dem sie realisiert, dass sie kein „normales“, angepasstes Leben führen kann. Bei einem Florenz-Aufenthalt stösst sie auf eine Reihe unbekannter Malerinnen, und so widmet sie den Künstlerinnen Sofonisba Anguissola, Lavinia Fontana und Artemisia Gentileschi weitere Kapitel. Ihre Japan-Affinität lässt sie auch die Künstlerin Yaoyoi Kusama als einzige zeitgenössische Heldin in ihr Buch aufnehmen.

Akribisch recherchiert, pointiert präsentiert

Auf knapp 500 Seiten lässt die Autorin die Lesenden nicht nur an beeindruckenden Lebensgeschichten der von der (männlichen) Geschichtsschreibung vergessenen Frauen, sondern auch am Entstehungsprozess des Werks mit all seinen Höhen und Tiefen teilhaben. Durch den patchwork-artigen Aufbau ist die Lektüre kurzweilig und abwechslungsreich – und gleichzeitig intim, da die Autorin viel Persönliches von sich preisgibt: Man hat das Gefühl, sie ein Stück in ihrer Selbstfindung zu begleiten und spürt die therapeutische Kraft des Schreibens. Doch von der ersten bis zur letzten Seite zieht sich Kankimäkis uneingeschränkte Bewunderung für die weiblichen Idole, die ihr unzählige schlaflose Nächte beschwert haben.

 

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