Ich gebe zu, ich habe mich lang gesträubt dieses Buch zu lesen. Denn wissenschaftlich fundiert vor Augen geführt zu bekommen, wie subtil Frauen von der Gesellschaft (und vor allem von Männern!) „an ihren Platz“ verwiesen werden und welche Erwartungen sie zu erfüllen haben, macht mich jedes Mal wütend. Deswegen muss mir ich solche Fachbücher gut dosiert zu Gemüte führen. Doch in den Weihnachtsfeiertagen war es dann soweit. Und was soll ich sagen – ich war beeindruckt!
Weibliche Erschöpfung als politische, ökonomische und kulturelle Systematik
Franziska Schutzbach versteht es, Themen in einen größeren Zusammenhang zu stellen und nachvollziehbar zu machen. In sieben Kapiteln deckt sie die Mechanismen auf, die Frauen (und sie bezieht sich explizit auch auf weiblich sozialisierte Menschen bzw. FINTA*) in den verschiedensten Lebensbereichen in einen Zustand dauernder Erschöpfung bringen. Um sexuelle Verfügbarkeit geht es ebenso wie Minderwertigkeitsgefühle, dem Streben nach einem perfekten Körper, Mutterschaft, Beruf und dem „Mental Load“ in Beziehungen und Familie. Und sie stellt zu Beginn gleich klar: Dieser Zustand ist kein individuelles Problem, sondern Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Deshalb ist es auch keine Lösung, an der persönlichen Optimierung zu arbeiten, wie viele Ratgeber uns suggerieren.
Und täglich grüßt das Murmeltier…
Natürlich erkennt die Autorin an, dass feministische Kämpferinnen vieles erreicht und wir vorherigen Generationen viel zu verdanken haben. Doch sie legt auch schonungslos offen, wie sehr diese Geschichte seit jeher vergessen und marginalisiert wird – und wir deswegen immer wieder von vorne beginnen müssen. Auch das ist eine Ursache der Erschöpfung. Franziska Schutzbach würdigt das umfangreiche, feministische Wissen, das bereits existiert und plädiert dafür, es zum Wissenskanon zu erheben. Damit Frauen „Widerstand gegen die Ausbeutung ihrer Energie, ihrer Psyche und ihrer Körper“ leisten und vom Objekt zum Subjekt werden.
Differenziert und intersektional
Was mir an diesem Buch besonders gefällt, ist der differenzierte Blick der Autorin, der – im Gegensatz zu anderen feministischen Schriften – ganz gezielt auch die Lebenswelten von Frauen of Color, migrantischen Careworkerinnen, lesbischen Frauen und FINTA mit einbezieht. Schon im Vorwort stellt sie klar, dass es „die Frauen“ als homogene Gruppe nicht gibt und dass Geschlechtsidentitäten vielfältig sind. Doch um gesellschaftliche Normen aufzuzeigen, kommt man nicht darum herum, diese Kategorien zu verwenden – allerdings mit der nötigen Skepsis dahinter.
Ich kann dieses Buch trotz meiner ursprünglichen Vorbehalte uneingeschränkt empfehlen – weil es ein Mosaiksteinchen mehr ist, die Strukturen zu entlarven, die der Geschlechtergerechtigkeit im Wege stehen.
*FINTA: Frauen, inter, nicht-binäre, trans* und agender Personen