Die Daheim- und die Herzenssprache

Jun 28, 2023Gedank:innen zur Vielfalt0 comments

Folgende Begebenheit hat mir meine Cousine erzählt, die Elementarpädagogin in einem internationalen Kindergarten ist: Immer, wenn sie mit den Kleinen die Körperteile lernt, darf jedes Kind das Wort in seiner „Daheim-Sprache“ sagen, bevor sie es gemeinsam auf Deutsch wiederholen. Und so wurde meine Cousine von den Kindern gefragt, wie denn „Nase“ in ihrer Daheim-Sprache heißt. Sie sagte: „Nase“, worauf die Kinder meinten: „Nein, nicht auf Deutsch, in deiner Daheim-Sprache!“ Für die mehrsprachig Aufwachsenden war es einfach nicht nachvollziehbar, wie jemand mit nur einer Sprache groß wird und daheim dieselbe Sprache spricht wie „draußen“. Sie bemitleideten sie fast dafür! Ein gutes Beispiel, wie unsere Vorstellung von „Normalität“ von den Kindern auf den Kopf gestellt wird.

Von einer Kollegin, die im Senior:innen-Bereich tätig ist, habe ich wiederum den schönen Ausdruck „Herzenssprache“ erfahren. Sie berichtete, dass in Pflegeheimen vermehrt zwei- oder mehrsprachiges Personal gebraucht wird. Warum? Weil Menschen, wenn sie an Demenz erkranken oder sich verletzlich und hilflos fühlen, oft in ihre Herzenssprache zurückfinden. Für viele, die unser Land mit aufgebaut haben und jetzt pflegebedürftig sind, ist diese Herzenssprache eine andere als Deutsch. Und so ist es beruhigend und erlösend für sie, wenn da jemand ist, der diese versteht und spricht.

Und gleichzeitig habe ich die „Die sollen gefälligst Deutsch reden!“ und „Deutschpflicht am Schulhof!“ Parolen im Ohr – Wie soll das jemals zusammengehen …?

Vielleicht so: Im April durfte ich Nela Pećić und Džana Schütter vom Verein MAK – Multikulturalität als Kompetenz kennenlernen. Sie haben das Empowerment Netzwerk „Balkan Minds“ gegründet und beschäftigen sich mit interkultureller Expertise im Business-Bereich. Gemeinsam haben wir Tipps zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Team veröffentlicht.

Einer davon lautet: „Haltet es aus, wenn ihr mal etwas nicht versteht! Wenn Leute ihre Herkunftssprache sprechen, heißt das nicht automatisch, dass sie Geheimnisse haben oder über euch sprechen. Keep cool – oder fragt sie, ob ihr etwas zu ihrem Gespräch beitragen könnt!“

Wie gut, dass die Urlaubszeit naht – die perfekte Gelegenheit, das zu üben! Denn auf Reisen passiert es uns ja auch oft, dass wir die Landessprache nicht beherrschen. Ist deswegen der Urlaub gelaufen? Mitnichten! Ich erinnere mich noch gut daran, wie gebannt ich an den Lippen des marokkanischen Geschichtenerzählers am Markt von Marrakesch hing, ohne ein einziges Wort zu verstehen.

Und vielleicht schafft es etwas von diesem Gefühl auch vom Urlaub zurück in den Alltag – für MEHR-Sprachen-Toleranz daheim?

Dieser Text erscheint als „Vielfaltskolumne“ in der Salzburger Straßenzeitung Apropos im Juli 2023.

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