Dieses herzerfrischende, spannende Buch habe ich auf einen Satz verschlungen. Einerseits, weil mich die Geschichte gepackt hat. Andererseits, weil die Protagonist:innen in ihrer Besonderheit dann doch wieder so sind wie du und ich und weil auf eine scheinbar beiläufige aber stimmige Art Themen wie Autismus, Rassismus und Geschlechterrollen in die Handlung einfließen.
Aufwachsen im Bücher-Universum
Als die Eltern von Sarah und Milena bei einem Flugzeugabsturz verunglücken, kommen die beiden Mädchen zu ihrer Tante Amalia. Diese lebt inmitten alter Bücher und Karten, ist ein bisschen schräg aber unheimlich liebevoll und gibt Sarah zum ersten Mal das Gefühl, so wie sie ist angenommen zu sein. Denn Sarah wird die Welt rasch einmal zu viel, zu laut, zu unüberschaubar. Sie tut sich schwer Emotionen und Untertöne bei anderen Menschen zu erkennen. Und so ist für sie die Bücherwelt der Tante ein Paradies, in das sie eintaucht und eine glückliche Kindheit verbringt.
Die Bücherliebe zum Beruf machen
Die gemeinsame Liebe zu Büchern bringt Sarah auch dazu Bücher-Restauration zu studieren und ins Business der Tante einzusteigen. Tante Amalia ist nämlich Antiquitätenhändlerin und Restauratorin. Und ihre Methoden an seltene Stücke zu gelangen durchaus originell und erfinderisch. Auf ihren gemeinsamen Beutezügen erleben Sarah und Amalia irrwitzige Episoden und für Sarah könnte das Leben ewig so weitergehen. Doch dann stirbt Amalia plötzlich und nichts ist so wie zuvor.
Ein Rätsel als Hinterlassenschaft
Sarah ist wie gelähmt und wie in Trance. Erst nach und nach kommen sie und ihre Schwester dahinter, dass die Geschäfte Amalias bei weitem nicht so ertragreich waren wie erhofft. Um die Villa der Tante erhalten zu können, entschließt sich Sarah zu einem Bücherflohmarkt im Haus. Völlig unvermutet taucht ein britischer Bibliothekar auf, der von Amalia vor ihrem Tod kontaktiert worden war. Anscheinend hatte sie eine Fährte zu einem verschollenen Teil einer mittelalterlichen Landkarte aufgenommen und der British Library angeboten, diese für sie zu organisieren. Sarah weiß von alldem nichts. Aber sie entschließt sich dem Bibliothekar zu helfen und die Spur gemeinsam aufzunehmen.
Verwirrende Spurensuche mit menschlicher Annäherung
Man begleitet Sara und den Bibliothekar Ben nun auf die abenteuerliche Spurensuche nach Frankreich und England, erfährt nebenbei so einiges über mittelalterliche Kartographie und erlebt mit, wie sich Sarah und Ben näher kommen. Ben ist der erste Mann, in dessen Gesellschaft sich Sarah verstanden und wohl fühlt und der mit ihrer Direktheit umgehen kann. Hat er doch selbst auch „bibliophile Ticks“ und als Schwarzer eigene Ausgrenzungserfahrungen gemacht. Und so entpuppt sich parallel zur spannenden Kartenjagd auch eine vorsichtige, behutsame Romanze. Die aber ein jähes Ende findet, als das Kartenrätsel gelöst und der Ausgang völlig unerwartet ist. Und doch ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn als Sarah von ihrem Abenteuer zurückkehrt, hat sich ihre Schwester von ihrem Mann getrennt und ist mit den Kindern in die Villa eingezogen. Vielleicht bringt der Neustart mit der Schwester auch eine neue Wendung in die verkorkste Geschichte mit Ben?
„Die Bücherjägerin“ von Elisabeth Beer.