Am 30. Juli 2022 ist der österreichisch-syrische Autor Jad Turjman tödlich verunglückt. Beim Bergsteigen. Er hatte soeben sein drittes – und letztes – Buch fertig gestellt, dessen Erscheinen er nicht mehr erlebte. Zur Trauer mischt sich die Dankbarkeit, was Jad uns in der kurzen Zeit, in der er in Österreich lebte, hinterlassen hat. Unter anderem sein letztes Buch: „Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt“.
Der Jasmin als Leitmotiv
In seinem Erstlingswerk „Wenn der Jasmin auswandert“ behandelte Jad seine Fluchtgeschichte und Ankunft in Österreich. Der Jasmin war sein Sinnbild der Damaszener Heimat, die Pflanze, die dort überall wächst und ihren Duft verströmt. Und die sich Jad sogar von Damaskus nach Österreich schmuggeln ließ, um sie auf seinem Mattseer Balkon zu pflanzen. Dass der Jasmin sich hier verwurzelt hat, ist die Parallele zu seinem Leben: Dass er, der „Flüchtling Ihres Vertrauens“ oder „Vorzeige-Flüchtling“, der innerhalb kürzester Zeit auch zum Österreicher wurde, hier – und wie er schreibt vor allem in sich selbst – seine Heimat gefunden hat.
Rückschau auf die eigene „Integration“
In seinem Prolog schreibt Jad, dass er nicht als Klischee und Projektionsfläche, sondern als Individuum und Mensch schreiben möchte – als „Experte für das Erleben und Fühlen“. Und so ist dieses Buch ein Kaleidoskop unterschiedlichster Aspekte: Einerseits Geschichten und Anekdoten zum Zusammenleben und zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Kulturen. Hier kommt auch immer wieder Jads Humor und Wortwitz durch, wenn er Missverständnisse und Fettnäpfchen mit einem Schmunzeln aufs Korn nimmt. Andererseits persönliche Erlebnisse und Denkanstöße aus Jads Tätigkeit bei den Samaritern oder mit Jugendlichen in zahlreichen Workshops und Projekten. Und nicht zuletzt die (fachliche) Auseinandersetzung mit Themen wie Traumabewältigung, Rassismus, Integration, Zugehörigkeit und Mehrsprachigkeit, die Jad beruflich und privat beschäftigten.
Facettenreich – inhaltlich wie sprachlich
So kommt es auch, dass Jads Buch stilistisch facettenreich ist: Geht es um interkulturelle Begebenheiten und Erlebnisse, ist sein Stil anekdotisch und pointiert. Immer wieder wird seine Sprache aber auch poetisch, bildreich und blumig – vor allem dann, wenn er seine Gedanken schweifen lässt oder auch Brücken zur arabischen Welt und ihren Erzählungen schlägt. Thematische Abhandlungen wirken hingegen faktisch und manchmal fast ein bisschen dozierend. Aber genau das zeigt die Vielschichtigkeit von Jad als Person und die unterschiedlichen Rollen, in denen er auftrat: Je nach Kontext spricht er uns auf einer anderen Ebene an, oft auch direkt mit Du oder Sie. Er versteht es unbequeme Dinge schonungslos aufzuzeigen – und ebenso schonungslos ist er mit sich selber in der Verarbeitung seiner Traumata umgegangen. Genau hinschauen, um zu lernen und sich weiter zu entwickeln, lautete seine Devise.
Zugehörigkeit ist das Gegenteil von Anpassung
Viele Gedanken Jads haben mich zum Nachdenken gebracht und halten uns als „Aufnahmegesellschaft“ einen Spiegel vor. Zum Beispiel jene zur Zugehörigkeit: „Wahre Zugehörigkeit aber ist, wenn Sie bei einer Gruppe oder bei Menschen sein wollen und dies keine Identitätsanteile von Ihnen zu unterdrücken verlangt. Sie sind mit Ihrem authentischen Selbst willkommen.“ Was sich seiner Meinung jedoch hinter dem Begriff „Integration“ hierzulande verbirgt, ist eine „einseitige Form der Anpassung, eine Forderung sich zu unterwerfen, sich aufzugeben“. Zu vielen anderen Themen, die für unser Zusammenleben relevant sind, nimmt er ebenso Stellung: Als Betroffener, als Mensch, als – wie eingangs erwähnt – „Experte für das Erleben und Fühlen“. Und das ist Jads großer Verdienst für uns: Dass er uns den Perspektivenwechsel ermöglicht und das Wort aus der Sicht von Menschen ergriffen hat, die bei uns viel zu selten zu Wort kommen. Danke, Jad!