Österreichischer Integrationsgipfel

Dez 16, 2020Neues aus der (Fach)Welt0 Kommentare

Leider unbemerkt von der heimischen Medienszene ging gestern der zweite österreichische Integrationsgipfel über die Bühne – veranstaltet von den Neuen Österreichischen Organisationen (Die Neuen) und moderiert von ORF-Journalistin Eser Akbaba. Die Neuen sind ein bundesweites, überparteiliches und überkonfessionelles Netzwerk an Organisationen, die im Integrationsbereich tätig sind. Sie fordern eine gleichberechtigte Teilhabe von MigrantInnen und bieten eine Plattform zum Austausch. Die vier Hauptthemen des Gipfels waren:

  • Integration in Zeiten von COVID-19,
  • Die Rolle der Medien in der Einwanderungsgesellschaft,
  • Mehrsprachige Verwaltung und
  • Parallelgesellschaften in Österreich?

Das offizielle Österreich war mit einer Grußbotschaft von Bundespräsident Alexander van der Bellen und eine Live-Zuschaltung von Vizekanzler Werner Kogler vertreten. Auch NEOS-Vorsitzende Meinl-Reisinger schickte eine Videobotschaft. Einen Beitrag der amtierenden Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) suchte man leider vergebens. Ein paar Highlights des umfangreichen Programms (in voller Länge nachzusehen auf youtube) möchte ich hier herausgreifen:

„Ein neues WIR ist gebraucht!“

Initiator Dino Schosche plädierte in seiner Eröffnungsrede für eine Neudefinition von Integration und für die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und Institutionen. Er verwies auf das Positionspapier „Österreich.Wir.Gemeinsam.“, das rund 60 MigrantInnen-Organisationen im Vorfeld des Gipfels erarbeitet hatten. Sie fordern eine aktive Partizipations- und Antidiskriminierungspolitik in Österreich sowie die Stärkung der MigrantInnen-Organisationen und unterstreichen ihre Bereitschaft, einen aktiven Beitrag dazu zu leisten. Ebenso stellte er den 35-köpfigen „ExpertInnenrat „Migration.Integration.Teilhabe“ vor, der in vier Arbeitsgruppen (Arbeit, Bildung, Teilhabe und Gesundheit) einen jährlichen Integrationsplan erarbeitet, dessen Punkte ebenso am Gipfel präsentiert wurden.

Ferda Ataman: „Nicht die Integration, die IntegrationsDEBATTE ist gescheitert!“

Die deutsche Journalistin und Aktivistin Ferda Ataman warf einen kritischen Blick auf das Wort „Integration“, das laut deutschen Forscher:innen ein „bedeutungsloser Begriff“ sei. Und sie fragt: Integration wohin? Warum in die „Kultur“ und nicht in die Wirtschaft, Nachbarschaft oder was auch immer? Was oft mit Integration verwechselt wird, ist die Forderung nach Assimilation – und diese sei wahrlich Privatsache und keine legitime Forderung. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich gerade die erste Zuwanderer-Generation besonders an die Regeln hält, um nicht aufzufallen. Sie lässt sich mehr gefallen, erst die zweite und dritte Generation spricht Diskriminierungen an und formuliert konkrete Erwartungen an die Gesellschaft. Atamans zentrale Botschaften lauten:

  1. Denkfehler beheben! Integration, Leitkultur, homogene Kultur – „alles Quatsch“! Migrationspolitik löst keine Gesellschaftsprobleme.
  2. In WAS soll integriert werden? In politische und gesellschaftliche Debatten und in das politische System, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und das gesetzliche Wertefundament.
  3. Integrationsangebote für ALLE! Weg von einer Integration von Migranten und hin zu einer teilhabeorientierten Gesellschaft. Schutz vor Diskriminierung für alle, die ihn brauchen.

Abschließend betonte sie, wie wichtig in jedem öffentlichen Diskurs die Vielfalt der beteiligten Personen ist, um die Vielfalt in der Gesellschaft zu repräsentieren und sichtbar zu machen.

Schwerpunkt „Rolle der Medien in der Einwanderungsgesellschaft“

Kommunikationswissenschafterin Petra Herczeg präsentierte Zahlen, wonach nur 0,5 Prozent der österreichischen Journalist:innen anderer ethnischer Herkunft sind. Ergebnisse ihrer Forschung zeigen weiters, dass in der Medienberichterstattung die ethnische Herkunft einer Person dann herausgestrichen wird, wenn es entweder um Kriminalitätsthemen oder Migranten als „Superheroes“ geht. In einer anschließenden Diskussion mit Chefredakteuren (Sittinger – Kleine Zeitung, Vahrner, Co-GF Tiroler Tageszeitung), dem Vorstand des Migrantinnen-Medienrats Kliic und dem Kommunikationswissenschafter Grimm versuchte die freie Journalistin und Anti-Rassismus-Aktivistin Vanessa Spanbauer die Wichtigkeit von Diversität in Redaktionen zu betonen – zum Teil leider vergeblich. Man hörte Allgemeinplätze wie „Wir würden ja gern, aber es gibt keine geeigneten Kandidaten“ bis hin zu „ein Journalist muss sich sowieso in jede Position hineinversetzen können“ aus den Mündern der Chefredakteure. Hier wurde für mich sichtbar, dass noch ein weiter Weg in der Sensibilisierung der Medien-Chefetagen vor uns liegt.

Parallelgesellschaften – gibt es sie wirklich?

Der Soziologe und Leiter des Think-Tanks think.difference Kenan Güngör stellte eingangs fest, dass es in Österreich keine Parallelgesellschaften im Sinne der richtigen Bedeutung des Terminus (Verdoppelung der Gesellschaft) bestehen, dazu fehlt ihnen die wirtschaftliche und institutionelle Ebene. Die Gesellschaft setzt sich bei uns vielmehr aus Parallelmilieus zusammen, die aber hierzulande als problematisch empfunden werden. Den Grund dafür sieht er in unserem Integrationsverständnis, das auf das Individuum und nicht die Gruppe gerichtet ist, dieses Mindset kennt keine Communities sondern sieht sie als Integrationshemmnis. Dies ist aber ein Trugschluss, es lohnt ein genauerer Blick, da es auf das Milieu ankommt: Es gibt sehr wohl auch integrationsfördernde und integrationsneutrale Milieus. Anhand einer differenzierten Analysematrix zeigt er: Nicht Community-Building per se ist problematisch, sondern ein gewisser (kleiner) Teil der Milieus, die sozial unterschichtet sind und nicht kompatible Weltanschauungen vertreten. Solche Milieus gibt es aber auch in der Mehrheitsgesellschaft. Deswegen rät er davon ab, den verzerrenden und stigmatisierenden Begriff der „Parallelgesellschaft“ zu verwenden und ein entspanntes Nebeneinander von verschiedenen Milieus anzustreben.

Was kommt: Publikation „Österreich – weitergedacht“

Das war wirklich nur ein kurzer Ausschnitt der äußerst spannenden Veranstaltung, zu deren Abschluss eine Publikation angekündigt wurde: „Österreich-weitergedacht“ wird Ende Jänner 2021 erscheinen und die Meinungen von mehr als 100 unterschiedlichen IntegrationsakteurInnen zu den vier Schwerpunktthemen des Integrationsgipfels beinhalten. Ich bin schon gespannt und finde es toll, dass hier etwas abseits der offiziellen Gremien in Bewegung kommt, getragen von der Zivilgesellschaft, engagierten Expert:innen und (MigrantInnen-)Organisationen! Ich freue mich schon auf den dritten Integrationsgipfel und hoffe, dass über ihn dann auch ausgiebig in den „Mehrheitsmedien“ berichtet wird!

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