Der Hintergrund im Vordergrund

Sep 13, 2020Wortklauberei0 Kommentare

Ich finde es ja prinzipiell gut, wissenschaftlich-neutrale Termini zu verwenden. So wie den „Migrationshintergrund“. Das Problem dabei ist: Je mehr und in bestimmten (einseitigen) Kontexten er verwendet wird, desto mehr Konnotationen und Assoziationen entstehen – und schon ist er nicht mehr ganz so neutral. Beispiele gefällig?

Die Definition von Migrationshintergrund

Migrationshintergrund hat eine Person dann, wenn beide Elternteile im Ausland geboren sind – ungeachtet dessen, wo sie selbst geboren ist. Deswegen unterscheidet man weiter zwischen Zuwanderer:innen erster Generation (selbst im Ausland geboren) und zweiter Generation (in Österreich geboren). Aber Achtung: Migrationshintergrund bedeutet nicht Ausländer/in! Natürlich kann jemand mit Eltern, die im Ausland geboren (und vielleicht schon längst eingebürgert) sind, selber auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Wer die Zahlen genau recherchieren möchte: Die Daten zum Migrationshintergrund der Bevölkerung werden hierzulande in Form der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung von Statistik Austria erhoben und anhand von Quartals-Stichproben hochgerechnet. Die Bevölkerungsstatistiken mit Informationen über die Staatsbürgerschaft basieren auf den Daten des Melderegisters und sind dementsprechend präziser. Also: Ausländeranteil ist nicht gleich Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund!

… und was versteht Otto Normalverbraucher unter Migrationshintergrund?

Migrationshintergrund hat also auch ein Deutscher, der zum Arbeiten nach Österreich kommt. Oder ein Kind, das eine englische Mutter und einen amerikanischen Vater hat. Oder die Nachkommen der nach dem zweiten Weltkrieg zu uns gekommenen Sudetendeutschen, Siebenbürger oder sonstige deutschsprachige Minderheiten. Also lauter Menschen, denen man ihren Migrationshintergrund vermutlich weder ansieht noch unbedingt „anhört“. Denn in der landläufigen Meinung (und auch der einseitigen Verwendung in den Medien) ist Migrationshintergrund inzwischen gleichzusetzen mit Ausländer/in wenn nicht gleich Flüchtling, und dem/der hat man es bitteschön auch anzusehen, dass er/sie nicht von hier ist (auch wenn er/sie von hier ist) und vor allem fällt er/sie ja durch sein/ihr Nicht-Integriert-Sein auf und das kann man ja bitteschön alles gar nicht miteinander vergleichen! Doch, kann man – und sollte man!

Wenn der Hintergrund im Vordergrund steht, dann für alle!

Deshalb plädiere ich dafür: Wenn dieser Begriff schon mit Vorliebe verwendet wird, dann aber bitte bei ALLEN, die Migrationshintergrund haben! Und dann würde ich ihn beim Zeitungsartikel über den aus dem Ausland rekrutierten Manager genauso gern lesen wie beim Radiobeitrag über eine international school hören, wo wahrscheinlich über 90 Prozent der Schüler:innen Migrationshintergrund haben – und nicht nur dann, wenn es um Probleme, Kriminalität und Integration geht! Vielleicht würden wir dann auch irgendwann erkennen, dass Migration vielfältiger und bunter ist, als wir glauben. Und dass Menschen mit egal welchen Migrationsgeschichten auch viele Ressourcen mitbringen, die wir auf den ersten Blick nicht sehen (wollen). Oder wir würden draufkommen, dass es in Wahrheit gar nicht um den Hintergrund geht, sondern etwas anderes im Vordergrund stehen sollte…

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